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Erschütterung der Steglitzer Gemeinde unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches

Artikel aus dem Kirchlichen Familienblatt

Folgende Auszüge aus dem Artikel „Zur Lage“ von Pfarrer Karl Otto Raack aus dem „Kirchlichen Familienblatt für die evangelische Gemeinde Steglitz“ vom 24. November 1918, machen deutlich, wie erschüttert die Steglitzer Gemeinde auf den Zusammenbruch des Kaiserreiches reagierte und welche Sicht sie auf die junge Republik und das kirchenpolitische Programm der sozialistischen Parteien hatte. Pfarrer Raack schrieb diesen Artikel nur wenige Tage nach der Abdankung des Kaisers und mitten in den Umbrüchen der Novemberrevolution. Damals war noch unklar, was aus der jungen Republik werden würde – eine parlamentarische Demokratie oder ein Räterepublik. SPD und USPD hatten mit dem „Rat der Volksbeauftragten“ eine Übergangsregierung gebildet. Das neubesetzte preußische Kultusministerium hatte gerade die ersten Verordnungen zur Trennung von Staat und Kirche erlassen.

Pfarrer Raack trauerte dem Kaiserreich nach, seine Haltung gegenüber der jungen Demokratie ist in diesem Artikel jedoch im Vergleich zu anderen kirchlichen Äußerungen aus den Novembertagen 1918 ziemlich offen und seine Haltung gegenüber dem Kaiserreich nicht ganz unkritisch:

Seit wir für unsere letzte Nummer die Beiträge schrieben, ist ein erschütterndes Erleben über uns gekommen. Einrichtungen, die wir für felsenfest hielten, sind wie Kartenhäuser umgefallen. Wir leben in einer neuen Welt, und man weiß noch nicht, was werden mag. …

Ich stelle voran, daß das Pauluswort Römer 13: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat“ zweifellos auch heute Gültigkeit hat. Ob die Regierung uns gefällt oder nicht gefällt, ist eine Sache für sich. Aber wir haben ein Interesse daran, daß die Ordnung aufrecht erhalten bleibt und nicht das Chaos über uns hereinbricht. …

Indem ich mich also auf den Boden der geschaffenen Verhältnisse stelle, erkenne ich vor allem das Prinzip der Demokratie, der Volksherrschaft, an. …

Wir haben das Deutsche Reich, wie es Bismarck geschaffen, und das Hohenzollernsche Kaisertum lieb gehabt. Es waren keine leeren Redensarten, wenn wir uns so oft zu Kaiser und Reich bekannten. Das Kaisertum war uns die Fahne der deutschen Einheit und Größe. Nun liegen wir unter den Füßen unserer äußeren Feinde, und die Kaiserstandarte ist eingezogen. Es wäre schlimm, wenn unser Herz da nicht blutete. Auch das will ich freimütig aussprechen: unsere Herzen muß die neue Zeit noch erobern… Aber ebensowenig verhehlen wir uns und anderen, daß es zu der alten Zeit kein Zurück mehr gibt. So vieles war morsch und angefault, war innerlich geborsten, wenn es auch nach außen noch so stattlich erschien. … Ob Republik, ob konstitutionelle Monarchie nach englischem Muster, das mag die konstituierende Versammlung entscheiden. …

Ich muß noch auf unsere kirchlichen Verhältnisse eingehen. Im Programm der neuen Aera steht Trennung von Kirche und Staat und Ausscheiden des Religionsunterrichtes aus dem Schulunterricht. Das Ministerium des Geistes in Preußen, das Ministerium der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten, ist umgetauft in ein solches für Unterricht, Wissenschaft und Kunst. Und an seine Spitze hat man Adolf Hoffmann gestellt, der seit Jahrzehnten nicht nur die Kirche, sondern das Christentum und die Religion verspottet und verhöhnt hat. Auch wenn ihm zur Seite der verständige Konrad Haenisch waltet, so ist der Name „Adolf Hoffmann“ doch ein Programm, eine Fahne, die zeigt, wohin die Fahrt gehen soll. … Wir sehnen die Trennung von Staat und Kirche nicht herbei. …

Reaktionen auf den Zusammenbruch des Kaiserreiches