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Kommentierte Textcollage

Zur Jugendarbeit

Die „Jungen Gemeinden“ waren in der NS-Zeit durch das Verbot der christlichen Jugendverbände entstanden. Nach dem Krieg wurde in Westdeutschland die Arbeit der Verbände wieder aufgenommen. In Ostdeutschland und Berlin blieb die Jugendarbeit an die Gemeinden gebunden, so auch bei Markus. Als die größte Nachkriegsnot behoben war und die Menschen ohne Bezugsscheine Lebensmittel kaufen konnten, wurde hier für die Junge Gemeinde ein Raum im Erdgeschoss des Gemeindehauses hergerichtet, wie die Chronik von Frau Oehme berichtet.

Für die Jugendarbeit steht seit 1950 das Wittenbergzimmer zur Verfügung, das, ursprünglich ein Laden, solange der Kartenstelle gedient hatte. Als nach Auflösung der Kartenstelle alle Erdgeschoßräume für Gemeindezwecke umgebaut werden konnten, Schw. Charlotte ihre Wohnung im 1. Stock bekam, da wurden für die I.M. [Innere Mission] 2 Räume nach dem Hof zu und 1 kleiner Warteraum hergerichtet, und für die „Junge Gemeinde“ das Wittenbergzimmer, dessen Außenfenster unser „Hausmaler“ Reim mit einladenden Plakaten schmückte. Jeder Straßenpassant kann an den in blau und gold ausgeführten christlichen Symbolen ersehen, welchem Zweck dieser Raum dient, und jeder Interessent kann die Zeiten ablesen, zu welchen die einzelnen Jugendkreise zusammenkommen.

Längere Zeit gab es für die Junge Gemeinde nur kurzzeitige Leiter oder Leiterinnen, Vikarinnen zum Beispiel, die immer nur ein Jahr lang zur Verfügung standen. Die Kreise waren nach Altersgruppen, eine Weile auch nach Jungen und Mädchen getrennt. Weil das Geld knapp war, wurden für die Finanzierung von Fahrten Spenden bei Gemeindeabenden gesammelt. In den Herbergen wurde auf den Reisen oft noch auf Stroh geschlafen. Neben Fahrten ins nähere Umland, vor dem Mauerbau auch in die Gegend um Ostberlin wie nach Glienicke, gab es die so genannte „Westfahrt“ nach Westdeutschland. Oft fuhren Jugendliche aus anderen Gemeinden und aus dem Kirchenkreis mit. Wanderungen, Kulturausflüge, Andachten und Bibelarbeit prägten sie. Von einer Fahrt auf die Nordseeinsel Amrum im Sommer 1953 hat Dagmar Zielenski erzählt:

Schon wochenlang vorher beschäftigte uns diese Fahrt, die unsere Vikarin Fräulein Laurien mit uns Mädeln und Jungen der „Jungen Gemeinde“ Markus und Lichterfelde geplant hatte. … Wir versammelten uns mit unseren Angehörigen um 3 Uhr im Wormser Zimmer, wo uns Herr Pfr. Klamroth eine kurze Andacht hielt und uns dann mit Singen und fröhlichen Worten verabschiedete. … Herr Pfr. Messow beglückte uns noch mit einer großen Tüte Bonbons. … Jeder Tag begann mit einer Andacht, die jeweils von einem aus unserm Kreis gehalten wurde. Unsere Freizeit am Vormittag benutzten wir zum Baden. … und Spiel in den Dünen. … Das Schönste waren unsere Fahrten mit dem Motorboot, die Fräulein Laurien ganz billig organisierte, so daß immer Alle daran teilnehmen konnten. Wir sahen die Seehundsbänke, die die Seehunde aber fluchtartig bei unserm Erscheinen verließen. … Die Abende verbrachten wir mit Bibelbesprechungen, wobei wir, in einzelne Gruppen eingeteilt, selbständig Bibelarbeit betrieben. Unser Thema waren die 10 Gebote. Jeden Sonntag machten wir eine weite Wanderung zum Gottesdienst in einer der Kirchen unserer Nachbarorte.

1955 war Schluss mit der kurzfristigen Leitung der Jugendarbeit. Pfarrer Joachim Stoelzel übernahm diese Aufgabe für die nächsten vier Jahre. Auch nach ihm hatte jeweils einer der Pfarrer die Gesamtverantwortung, wobei die einzelnen Kreise ehrenamtlich geleitet wurden. Unter ihm zog die Jugend­arbeit 1958 in die Liliencronstraße 15, wo sie in einer eigenen Etage viel großzügiger als im Gemeindehaus in der Albrechtstraße arbeiten konnte.

In den 1960er Jahren änderten sich die Reiseziele und auch der Inhalt der Reisen. Die Beschäftigung mit der jüngsten deutschen Geschichte führte 1965 nach Südfrankreich. Frau Czopnik schrieb darüber im Markusboten im Dezember desselben Jahres:

Vom 30. Juli bis 21. August waren aus dem Kirchenkreis Steglitz 24 Jungen und Mädchen zu einem Arbeitseinsatz in Südfrankreich. Aus der Markusgemeinde waren wir 5 Teilnehmer. Es ging um eine Hilfeleistung bei Monsieur und Madame Mandel. Herr Mandel hat als Berliner zur Zeit des Nationalsozialismus Grauenvolles durchgemacht. Er ist Jude. – Lange Jahre war er sehr krank, dann hat er vor 4 Jahren in Südfrankreich einen Besitz in der Nähe von Salernes erworben, den er mit seiner Frau allein versorgen muß. … Wir waren nun die erste Berliner Gruppe, die Herr Mandel empfangen hat. – Es war von Anfang eine Begegnung, die uns alle tief beschämt hat. Als der Bus eintraf, kam uns Herr Mandel entgegen und begrüßte uns mit einer Herzlichkeit und mit einem Kuß; wir spürten alle, dieser Mann vergißt Berlin nicht, obwohl er es nicht mehr wiedersehen will, und wohl auch nicht kann. Wir halfen dann täglich in den Weinbergen das Unkraut entfernen, wir beschnitten Olivenbäume, bearbeiteten seine Privatstraße und schachteten einen Garagenbau aus. … Jeden Abend sorgte Herr Mandel für nette Unterhaltung auf seiner Terrasse. Wir hatten täglich 35-45 Grad im Schatten. Mit erfrischendem Rotwein und unter schattigen Plätzen konnte er nicht genug nach Berlin fragen. – Auch sehr ernste Gespräche füllten den Abend aus. Herr Mandel richtete an uns alle die Frage nach Verjährung. Wie wir zur Vergangenheit ständen? – Und zum Krieg? Ernst und dringlich ermahnte er uns, nie mehr eine solche Zeit, wie es 1933-1945 war, hochkommen zu lassen. Wir sollten uns genau orientieren, ehe wir eine Meinung vertreten wollen. In anderen Ländern wohnen auch Menschen, die man nicht auf Befehl hassen könne oder gar erschießen.

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zeigte die Jugendarbeit ein interessantes Spektrum. Mit dem „Open House Club“ unter Pfarrer Jürgen Biewend wurde erstmalig eine Form der offenen Jugendarbeit praktiziert. Im Markusboten im Juni 1967 beschreibt er sie so:

Der Open House Club … hatte angefangen mit einer Handvoll ehemaliger Konfirmanden, die sich in der Winterzeit über Wissenswertes informieren ließen (Todesstrafe, Methoden der Werbung, fremde Länder, Umgangsformen, Zukunfts- und Berufsfragen). … Als nach etwa einem Jahr … zugkräftige Themen laufend nicht mehr einfielen, änderten wir die Form unserer Zusammenkünfte. Nicht mehr geschlossener Diskussionsclub, sondern ein Abend, der offen ist für jeden, der kommen will weiblichen und männlichen Geschlechts ab 14 Jahren. Offen aber auch in der Art der Betätigung: Man kann sich unterhalten, Musik hören, Tischtennis oder anderes spielen usw. Junge Menschen sind ungezwungen unter sich. Der Leiter ist zwar da, spielt aber nicht die erste Geige.

Im selben Markusboten wurden auch die übrigen Gruppen vorgestellt. Die „Jungschar“ umfasste Kinder ab zehn Jahren. Sie trafen sich einmal in der Woche zum Spielen und zu Bastelarbeiten oder Spazierausflügen. Das Hauptaugenmerk lag darauf, Gemeinschaft zu erfahren, Rücksicht und Achtung untereinander zu erlernen.

Die „Unverdrossenen“ versammelten junge Menschen von 15 bis 20 Jahren. Sie trafen sich, um über Themen zu diskutieren, aber auch zu Konzerten und Theateraufführungen und um gemeinsam Musik zu machen und zu wandern.

Im „Kreis Junger Menschen“ trafen sich Jungen und Mädchen ab 17 Jahren. Ein bis zweimal im Monat lasen sie in der Bibel und versuchten, den Text auf ihr Leben anzuwenden. Ansonsten sangen sie deutsche und ausländische Volkslieder und besorgten sich Referenten für Themen, die sie interessierten.