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Protestantischer Kirchenbau im 19. Jahrhundert und bis zur Bauzeit der Markuskirche

Im 19. Jahrhundert orientierte sich der protestantische Kirchenbau an frühchristlichen und mittelalterlichen Kirchen. Neben der Basilika waren romanische und gotische Kirchen die Vorbilder. So wurde es 1861 auf einer Kirchenkonferenz in Eisenach beschlossen. Das so genannte „Eisenacher Regulativ“ enthielt 16 Vorschriften. In etwas abgeschwächter Form wurde es 1898 noch einmal durch die „Eisenacher Ratschläge“ in Erinnerung gerufen, kurz darauf 1908 ein letztes Mal durch die „Eisenacher Leitsätze“.

Im Rückgriff auf vor allem mittelalterliche Bauformen sahen die Teilnehmer der Konferenz ein geeignetes Mittel, den besonderen Charakter von Kirchengebäuden zum Ausdruck zu bringen. Deshalb sagt das Eisenacher Regulativ:

Die Würde des christlichen Kirchenbaues fordert Anschluß an einen der geschichtlich entwickelten christlichen Baustyle und empfiehlt in der Grundform des länglichen Vierecks neben der altchristlichen Basilika und der sogenannten romanischen (vorgotischen) Bauart vorzugsweise den sogenannten germanischen (gotischen) Styl.

Zur Anlehnung an die mittelalterlichen Vorbilder zählte auch die Ausrichtung der Kirchen nach Osten. Um sie aus dem übrigen Stadtbild herauszuheben, sollten sie frei auf eigenen Plätzen stehen. Auch die Verbindung mit anderen Gebäuden der Gemeinde wurde abgelehnt.

Innen musste der Altarraum deutlich vom übrigen Raum abgegrenzt sein. Altar und Kanzel sollten räumlich voneinander getrennt sein. Für die Kanzel wurde wie in mittelalterlichen Kirchen ein Pfeiler vor dem Chorraum vorgesehen. Im Eisenacher Regulativ heißt es:

Die Kanzel darf weder vor noch hinter oder über dem Altar, noch überhaupt im Chore stehen. Ihre richtige Stellung ist da, wo Chor und Schiff zusammenstoßen, an einem Pfeiler des Chorbogens nach außen dem Schiffe zu; in mehrschiffigen großen Kirchen an einem der östlicheren Pfeiler des Mittelschiffs.

Gegen diese Festlegungen regte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts Widerspruch. Emil Veesenmeyer formulierte mit dem Wiesbadener Programm einen Gegenentwurf. Zum ersten Mal wurde es beim Bau der Ringkirche in Wiesbaden von 1892 bis 1894 umgesetzt. Pfarrer Veesenmeyer lehnte den Rückgriff auf mittelalterliche Bauformen als katholische Bauweise ab und forderte:

Die Kirche soll im allgemeinen das Gepräge eines Versammlungshauses der feiernden Gemeinde, nicht dasjenige eines Gotteshauses im katholischen Sinne an sich tragen.

Die Unterteilung des Kirchenraums war für ihn Ausdruck der katholischen Unterscheidung zwischen Priestern und Laien. Sie sollte aufgehoben werden. Deshalb sollte es auch keinen herausgehobenen Altarraum mehr geben. Das Wiesbadener Programm bemerkt dazu:

Der Einheit der Gemeinde und dem Grundsatze des allgemeinen Priesterthums soll durch die Einheitlichkeit des Raums Ausdruck gegeben werden. Eine Theilung des letzteren in mehrere Schiffe sowie eine Scheidung zwischen Schiff und Chor darf nicht stattfinden.

Um die Einheit der Gemeinde durch die Einheitlichkeit des Raumes zu verdeutlichen, wurde in der Ringkirche statt des länglichen Vierecks oder des kreuzförmigen Grundrisses, wie ihn das Eisenacher Regulativ vorsah, ein quadratischer Grundriss gewählt. Dabei ging es auch darum, allen Kirchenbesuchern den ungestörten Blick auf Altar und Kanzel zu ermöglichen.
Zu diesem Zweck wurden die Sitzbänke im Halbkreis um den Altar aufgestellt, denn, wie das Wiesbadener Programm bemerkt:

Die Feier des Abendmahls soll sich nicht in einem abgesonderten Raume, sondern inmitten der Gemeinde vollziehen. Der mit einem Umgang zu versehende Altar muss daher, wenigstens symbolisch, eine entsprechende Stellung erhalten. Alle Sehlinien sollen auf denselben hinleiten.

Für Pfarrer Veesenmeyer waren Altar und Kanzel gleichwertig, weil er in Predigt und Abendmahl gleichwertige Elemente des Gottesdienstes sah. Nach dem Modell des Kanzelaltars, wie er in protestantischen Kirchen der Barockzeit häufig zu finden ist, wurden in der Ringkirche Altar und Kanzel in der Mittelachse des Raumes hintereinander aufgebaut. Von der Gemeinde aus gesehen steht zunächst der Altar, dahinter ist in einer Wand erhöht die Kanzel angebracht, hinter der sich wiederum die Orgel- und Sängerempore befindet. Die Kirche führte so in einer Richtung am östlichen Ende des Raumes Predigt, Abendmahl und gottesdienstliche Musik zueinander, indem sie Altar, Kanzel und Orgelempore zentral übereinander anordnete.

Die Festlegung auf einen bestimmten Stil lehnte Pfarrer Veesenmeyer ab.

Nach dem Wiesbadener Programm sind bis zum Ende des ersten Weltkriegs einige evangelische Kirchen in Deutschland errichtet worden. Vor allem für die Innenraumgestaltung hatte das Programm die Loslösung von der Orientierung am Mittelalter bewirkt. Durch die Freigabe des Baustils machte es auch den Weg für eine veränderte äußere Gestalt frei. So kamen nach der Wende zum 20. Jahrhundert Einflüsse des Jugendstil zum Tragen, es entstanden Mischstile und alte barocke protestantische Bautraditionen wurden wieder aufgenommen. Nachdem Architekten wie Otto March, der auch für den Bau der Markuskirche einen Entwurf eingereicht hatte, sich dafür aussprachen, beim Bau von Kirchen neue Formen umzusetzen, die ihrer sozialen Verantwortung entsprechen, wurde Abstand von freistehenden Kirchen ohne Verbindung mit Pfarr- oder Gemeindehäusern genommen. Kurz vor dem Bau der Markuskirche schuf Erich Blunck, auch er hat einen Entwurf für die Markuskirche vorgelegt, 1910 in Nikolassee einen der ersten Baukomplexe aus Kirche und Gemeindehaus.

Die Markuskirche
Die Markuskirche